Im April stellte Kathrin Schön als Vertreterin ihres Kooperationsprojekts “Unsichtbare Orte” das Konzept der App vor. Die Umsetzung dieser App wird durch den 1. Platz des Project Slams 7×7 auf der Tagung museOn forscht: Museen und Universitäten – Orte des Wissens im Austausch (25. & 26.2.2016) von museOn unterstützt. Heute berichtet Maximilian Holfelder über einige Ergebnisse seines Recherche-Praktikums im Jüdischen Museum Frankfurt:
Ein Gastbeitrag von Maximilian Holfelder.
Meine Mitarbeit im Projekt “Unsichtbare Orte”
Im Rahmen eines Praktikums am Jüdischen Museum Frankfurt hatte ich im Herbst 2016 die Möglichkeit, an der App „Unsichtbare Orte“ mitzuarbeiten.
Ich studiere Judaistik und Geschichte im siebten Semester an der Goethe-Universität. In meinem Studium beschäftige ich mich meist mit weit zurückliegenden Zeiten; deshalb war es besonders spannend, mich für die App einmal mit neuer, sehr „lebendiger“ Geschichte zu beschäftigen.
Während die Geschichte des Judentums in Deutschland bis 1945 beispielsweise in Form vieler Denkmäler umfangreich dokumentiert ist, ist die Geschichte der Rückkehr des Judentums nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend unbekannt. Mir war, obwohl ich in Frankfurt aufgewachsen bin und hier ja sogar jüdische Themen studiere, nicht bewusst, wie vielseitig und ereignisreich die Geschichte der Frankfurter Jüdinnen und Juden der letzten Jahrzehnte gewesen ist.
Die Recherche zu unsichtbaren Orten und Shared Places
Nach buchstäblich ,unsichtbaren‘ Orten zu suchen ist schon ein Widerspruch. Aber selbst jene Orte aufzuspüren, die relevant genug und zugleich ausreichend unsichtbar sind, erforderte umfangreiche Nachforschungen. Neben vielen Archivbesuchen waren letztendlich auch Hinweise von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen hilfreich beim Sammeln von Informationen.
Jüdische Migration, die wir recherchiert haben, muss nach 1945 unter einigen bestimmten Vorzeichen betrachtet werden: es handelte sich oft um keine Zuwanderung, sondern um eine Rückkehr nach vorangegangener Flucht. Selbstvorwürfe wegen der Rückkehr ins ,Land der Täter‘ und Furcht vor erneutem Antisemitismus einerseits, die fast trotzige Behauptung alten und neuen jüdischen Lebens und der fast ausgelöschten Tradition andererseits bestimmten die jüdische Gemeinde Frankfurts seit der Nachkriegszeit.
Das Frankfurter Stadtarchiv war Hauptquelle für Informationen über jüdische Unsichtbare Orte. Eine Schlagwortsuche (bspw. Juden, Migration, Synagoge etc.) ergab dutzende Akten und tausende Seiten Material, die auf ihre Relevanz geprüft werden mussten. Hinzu kommt, dass die jüdische Gemeinde – verglichen mit z.B. der kroatischen oder griechischen – im Bereich Erinnerungskultur relativ ,sichtbar‘ ist; wenn auch vor allem für die Zeit bis 1945. Das erschwerte die Suche nach ,versteckteren‘ Orten. Dennoch haben wir viel finden können:
Unsichtbare Orte und Shared Places, die von der kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Vielfalt der jüdischen Community und ihrer Verflechtung mit anderen Gruppen und der ,Umgebungskultur‘ zeugen. So konnten wir beispielsweise für die 80er Jahre Hinweise auf eine Zusammenarbeit von jüdischer und muslimischer Gemeinde bei der Schächtung von Fleisch, das als koscher bzw. halal gilt, finden.
Ein anderer unsichtbarer Ort, der exemplarisch für die Verschiedenheit der Orte steht, die wir bei unserer Recherche entdeckt haben, befindet sich auf dem IG-Farben-Gelände, heute Universitätscampus. 1945 – 1995 war hier das Hauptquartier der alliierten US-Besatzungstruppen untergebracht. Ein heute unsichtbarer Shared Place wurde dort für die jüdischen amerikanischen GIs gebaut – eine ganz andere Form von ,jüdischer Migration‘ nach Frankfurt. Für ihre Gottesdienste erhielt die sogenannte Jewish American Colony ein Haus, das sie sich mit den protestantisch-christlichen Soldaten teilten: den ,multikonfessionellen Gebetsraum‘. Dieser Shared Place besaß sogar einen ,geteilten‘ Altar, der mit aufsteckbaren Elementen ,jüdisch‘ und ,christlich‘ dekoriert werden konnte.
Die fertige App ,Unsichtbare Orte – Shared Places‘ soll diese Orte mit den vielen anderen, die wir ausfindig machen konnten, verbinden und den Nutzerinnen und Nutzern die Vielfalt, die Gemeinsamkeiten ebenso wie die Widersprüche des Phänomens Migration aufzeigen, das Frankfurt seit 1945 so entscheidend geprägt hat.
Maximilian Holfelder