Gewinnerin und Repräsentantin ihres Kooperationsprojekts beim Project Slam 7×7 auf der Tagung museOn forscht: Museen und Universitäten – Orte des Wissens im Austausch (25. & 26.2.2016) Kathrin Schön berichtet über den aktuellen Stand und die Motivation zur Entwicklung der App “Unsichtbare Orte“ .
Ein Gastbeitrag von Kathrin Schön.
Ich weiß nicht, an wie viele Sprichworte wir in den vergangenen Wochen gedacht haben, seitdem der Project Slam auf der Freiburger museOn forscht Tagung Ende Februar zu Ende gegangen ist. Es müssen einige gewesen sein. Von „unverhofft kommt oft“ – was in Anbetracht der technischen Überraschungen während der Präsentation in Freiburg mein persönlicher Favorit ist – bis zu hin zu Gedanken und Kommentaren, die sich alle dem Anfang unseres Projekts widmeten. Frei nach dem Motto „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Oder doch eher „aller Anfang ist schwer“?
Auf uns traf in den letzten Wochen seit dem Project Slam in Freiburg gelegentlich beides zu. Mit der Gewissheit der Förderung durch museOn im Hinterkopf, ging es natürlich gleich wieder an die Arbeit an unserem Herzensprojekt. Aber die Idee für die App „Unsichtbare Orte“ hatte sich durch den fruchtbaren Austausch auf der museOn Tagung verändert. Sie war gewachsen. Wollten wir wirklich nur unsichtbare Erinnerungsorte in Frankfurt recherchieren, oder die App gleich von Anfang an so konzipieren, dass sie um weitere Städte, um weitere unsichtbare Orte und unerzählte Geschichten erweitert werden könnte? Sollten wir uns wirklich nur auf Spurensuche der in Frankfurt angekommenen Gastarbeiter der 1960er und 70er machen oder nicht auch aktuelle Migrationsgeschichten, wie die syrischer Geflüchteter berücksichtigen?
Spätestens jetzt wurde uns klar, dass wir mit der App „Unsichtbare Orte“ einiges erreichen wollten – und dafür weitere Unterstützung benötigen würden. Mit dem Jüdischen Museum Frankfurt hatten wir was die Finanzierung der Recherchen, die wissenschaftliche Infrastruktur und Öffentlichkeitsarbeit angeht zwar einen starken Unterstützer an Bord. Doch grade weil das Thema Migrationsgeschichte in Frankfurt trotz nennenswerter Ausstellungen im Historischen Museum oder dem Vorhaben ein Gastarbeiterdenkmal zu errichten, bisher nur wenig Beachtung im öffentlichen Raum fand, haben wir uns vorgenommen auch das Amt für Multikulturelle Angelegenheiten für unsere Idee zu begeistern – in der Hoffnung auf genau so viel Zuspruch zu treffen wie beim Project Slam der museOn forscht Tagung in Freiburg. Das Preisgeld werden wir vor allem für die Programmierung und Gestaltung der App, sowie für Lizenzen und Infomaterial verwenden.
Doch was hat es mit unserer App „Unsichtbare Orte“ eigentlich auf sich?
Das Konzept für die App knüpft an die sichtbaren Erinnerungsorte im Frankfurter Stadtraum an. Wir haben uns gefragt welche Orte und historischen Ereignisse dort eigentlich erinnert werden? Auf welche Weise geschieht dies? Wessen Geschichten werden erzählt, welche bleiben ungehört?
Ursprünglich wollten wir mit der App die jüdische Geschichte Frankfurts nach dem Zweiten Weltkrieg sichtbar machen, weil die zahlreichen Stolpersteine im Frankfurter Stadtraum eben nur das Ende des Frankfurter Judentums bezeugen, dabei aber aus den Augen lassen, dass es nach 1945 zu einem Neubeginn jüdischen Lebens in der Stadt kam. Ein zentrales Element für diesen Neuanfang war Migration. Migration ist aber kein rein jüdisches Phänomen – grade in einer so internationalen Stadt wie Frankfurt. Deswegen nimmt die App „Unsichtbare Orte“ verschiedene Gruppen der Stadtbevölkerung in den Blick, deren Geschichten ebenfalls von Migrationserfahrungen geprägt sind. Ihre Erzählungen und Erfahrungen blieben, neben einzelnen Ausnahmen und Initiativen, bisher weitgehend unbeachtet, und das, obwohl fast jeder zweite Frankfurter einen Migrationshintergrund besitzt und das Bewusstsein für Frankfurts Internationalität auch jenseits des Bankenviertels als selbstverständlich wahrgenommen wird.
Unsere App „Unsichtbare Orte“ füllt diesen blinken Fleck und schließt die Lücke in der städtischen Erinnerungskultur, während die Errichtung des geplanten Denkmals für die Frankfurter Arbeitsmigranten aus Südosteuropa und der Türkei weiterhin auf sich warten lässt.
Aber das Ganze hat noch einen Clou: Denn mit der App bekommen die vielfältigen Migrationsgeschichten nicht nur eine sichtbare Plattform – auch wenn dies zunächst nur virtuell geschieht –, sie werden zudem auf räumlicher Ebene miteinander verknüpft und in Bezug gesetzt, sodass die Nutzer der App an zahlreichen Punkten ihres Stadtrundgangs durch Frankfurt immer wieder auf ähnliche Migrationsgeschichten anderer Gruppen stoßen.
Welche Migrationsgeschichten erzählt die App?
Die App erzählt die Geschichten jüdischer Migranten nach dem 2. Weltkrieg, aber auch die türkischer, kroatischer und italienischer Gastarbeiter. Die fünfte Gruppe deren Erfahrungs- und Erinnerungsorte wir in der App sichtbar machen werden ist die syrischer Geflüchteter. Bei unseren Recherchen verfolgen wir einen partizipativen Ansatz und arbeiten deswegen nicht nur mit Archivmaterial aus dem Institut für Stadtgeschichte, sondern auch mit den in Frankfurt ansässigen Kulturvereinen und Flüchtlingsunterkünften.
Warum wird die App eigentlich vom Jüdischen Museum Frankfurt entwickelt?
Das ist eine Frage, die mir in den letzten Wochen ziemlich oft gestellt wurde. Aber für uns gehört die Vermittlung deutsch-jüdischer Geschichte an ein post-migrantisches Publikum zu den zentralen Aufgaben des jüdischen Museums. Das Ziel ist aber auch Informationen über die Spuren kultureller Vielfalt in Frankfurt bereit zu stellen und Anknüpfungspunkte zur Förderung von interkulturellem Verständnis zu schaffen. Frei nach dem Motto: Wer merkt, dass seine eigene Geschichte Gehör findet, ist offen für die Geschichte der anderen. Und genau das meistert die App „Unsichtbare Orte“ im Hinblick auf die Vermittlung deutsch-jüdischer Geschichte ganz spielerisch und fördert damit ganz nebenbei die Möglichkeit jüdische Geschichte in Frankfurt als Teil einer vielfältigen – an manchen Stellen vergleichbaren – Migrationsgeschichte in der Stadt zu betrachten.
Wer realisiert die App?
Dominik Kremer ist Doktorand am Lehrstuhl für angewandte Informatik in den Kultur-, Geschichts- und Geowissenschaften der Universität Bamberg und beschäftigt sich in seiner Forschung mit sozialen Strukturen virtueller Räume. Er programmiert die App „Unsichtbare Orte“ und interessiert sich ganz besonders für die Funktion der sogenannten „Shared places“. Die „shared places“ sind ganz besondere, unsichtbare Orte im Stadtraum, denn sie erzählen nicht nur die Geschichte einer sondern mehrerer Migrationsgruppen, die die Frankfurter Stadtgesellschaft geprägt haben. Geteilte Stadträume werden auf diese Weise zu Vermittlungspunkten geteilter Schicksale und Erfahrungen und zwar jenseits von kulturellen oder religiösen Unterschieden.
Kathrin Schön ist wissenschaftliche Volontärin am Jüdischen Museum Frankfurt und kuratiert das Programm des temporären Pop Up Museums sowie einen Bereich der neuen Dauerausstellung des Jüdischen Museums im Rothschild Palais. Sie hat Theater-, Film und Medienwissenschaft, Kunstgeschichte und Judaistik in Frankfurt, Paris und Haifa studiert und entwickelte das Konzept für die App „Unsichtbare Orte“. Im Rahmen ihres Volontariats am Jüdischen Museum recherchiert sie die dazu-gehörigen Inhalte. Für sie stand zu Beginn des Projekts die Frage im Raum, wie sich jüdische Geschichte spielerisch und innovativ an eine post-migrantische Stadtbevölkerung vermitteln lassen und gleichzeitig den besonderen Erfahrungen und Geschichten nicht-jüdischer Mitbürger in Frankfurt Gehör geschenkt werden könnte.
Max Holtfelder ist Bachelorstudent am Seminar für Judaisitk der Goethe-Universität Frankfurt und wird im Rahmen eines Praktikums am Jüdischen Museum an der inhaltlichen Recherche der Unsichtbaren Orte mitwirken und auch eigene Texte für die App verfassen
Kathrin Schön
Toni Charlotte Bünemann says
Glückwunsch zur Idee und deren Weiterentwicklung. Dass die Umsetzung “zunächst” nur virtuell geschieht (was wunderbar ist für den Start und für die erforderliche mediale Aufmerksamkeit), lässt hoffen, dass die Geschichten in Zukunft auch für Nicht-App-Nutzende, z.B. die älteste oder allerjüngste Generation, zugänglich werden könnten: die räumlichen Anknüpfungspunkte sind dann ja definiert und die Begleitung bei oder Anstiftung zu Stadtrundgängen kann auch durch eine Person bzw. einen Mitmenschen erfolgen.
Das wird im Sinne einer “erlaufenen” oder “erfahrenen” Weiterbildung durch Geschichten in der Stadt angesichts aktueller politischer Denkströmungen zunehmend wertvoll sein.