Am 21. Februar 2017 eröffnete die Ausstellung Ansichtssache – Antike Skulpturengruppen im Raum in der Archäologischen Sammlung der Universität Freiburg. Die Ausstellung wurde über drei Semester mit Studierenden entwickelt. Während der Eröffnung sprachen zwei Studierende eindrücklich über den Entwicklungsprozess der Ausstellung, den Sie in diesem Artikel nachlesen können.
Alles begann mit einem Seminar als Schreibwerkstatt über antike Skulpturen und Skulpturengruppen, geleitet durch den Kurator der Sammlung, Dr. Jens-Arne Dickmann. Mit dem Ausstellungskonzept der noch bis zum 2. Juli 2017 laufenden Ausstellung stellen die angehenden Archäolog_innen den wesentlichen Punkt von Plastik in den Mittelpunkt: ihre raumeinehmende Dreidimensionalität. Dazu hinterfragen die Ausstellungsmacher_innen künstlerische Strategien zur Entwicklung bestimmter Haupt- bzw. Mehransichten.
Auf diese zentralen Punkte zu Skulpturen verweist auch der Titel der Ausstellung: Um Skulpturen kann man prinzipiell herumgehen, doch welche wurden dafür geschaffen, sie von allen Seiten aus zu betrachten? Welche haben eine eindeutige Hauptansicht? Das Ausstellungsdesign gibt Hilfestellungen um sich auf diese Weise mit den großen und kleinen Skulpturen zu beschäftigen. Genau hinzusehen und zu reflektieren, was man wahrnimmt, auch darauf verweist der Titel Ansichtssache – Antike Skulpturengruppen im Raum.
Wie war es, diese Ausstellung, samt Programm und einem dicken Katalog zu entwickeln und umzusetzen? Wie war es, anderthalb Jahre gemeinsam zu diskutieren, zu forschen, zu schreiben, genau hinzusehen?
Antje-Sophie Menschner und Annemarie Schantor vermittelten dies eindrücklich in ihrer Rede zur Eröffnung, die hier nachgelesen werden kann:
Lieber Rektor, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen …
Halt, Antje! Nein! Das Pult steht noch nicht richtig. Schau mal, ich bin ganz sicher, dass es mindestens noch zwei Zentimeter nach links verrückt werden muss. Wie sieht das nur aus? Oder fändest du drei Zentimeter noch besser??
Annemarie, der Drops ist gelutscht, wir eröffnen gerade die Ausstellung, hier wird absolut gar nichts mehr verschoben!
Ach ja, das ist mir bereits in Fleisch und Blut übergegangen. Worauf haben wir uns mit dieser Ausstellung nur eingelassen? Eineinhalb Jahre lang schrieben wir an den Katalogtexten, ganz zu schweigen über die scheinbar endlosen Diskussionen über den Titel, die Farben, den Zeilenabstand und die Positionierung der Skulpturen im Raum. Erst gestern hingen wir, beinahe wie Marsyas, beim Justieren der Banner unter der Decke, im ewigen Kampf mit dem Nylonfaden.
Oh Annemarie, hör auf zu dramatisieren! Natürlich war es eine anstrengende Zeit, bei solchen Projekten gibt es immer Höhen und Tiefen; Schweiß und Tränen (auch Freudentränen) gehören dazu. Doch erinnere dich nicht nur an all die harte Arbeit, sondern auch daran, wie unglaublich viel wir gelernt haben und nicht zuletzt, was wir für einen Spaß miteinander hatten, es gäbe so einige Anekdoten zum Besten zu geben!
Aber gekämpft haben wir auch! Wie Laokoon mit den Schlangen haben wir mit den Katalogtexten gerungen! Mit den vielen Kommentaren und Korrekturvorschlägen, die immer wieder dann geäußert wurden, als wir selbst den eigenen Text bereits für gut befanden. Jeder Satz wurde inhaltlich aufs Schärfste geprüft, jede Formulierung ausdiskutiert, jedes Komma und jeder Doppelpunkt hinterfragt. Fünf Versionen eines Textes zu erstellen, war keine Seltenheit!
Aber haben wir unsere Skulpturengruppen nicht gerade durch diese intensive Beschäftigung erst richtig verstanden? Erinnere dich an die ersten Vorträge vor mehr als einem Jahr. Wie anders und wie viel differenzierter beurteilst du deine Gruppe heute? Man kann sagen, wir haben das Sehen erlernt. Doch reicht Sehen alleine nicht aus. Es hat sich uns offenbart, wie sehr uns die Sprache nicht nur als Ausdrucksmittel, sondern auch als Werkzeug dient, um das Gesehene begreifen, festhalten und vermitteln zu können. Wie oft waren wir um Worte verlegen, wussten nicht, wie wir Erkanntes ausdrücken sollen? Zweifellos mussten wir mehrere Versionen verfassen, um die inhaltlich präzisen und dabei nahezu lyrischen Worte in unseren Köpfen und auf dem Papier reifen zu lassen. Aber in dem Augenblick, in dem uns die Kataloge ausgehändigt wurden, waren wir glückselig wie Eros und Psyche.
Hmm, Antje, da muss ich dir wirklich Recht geben! Und eigentlich ist das ist ja noch lange nicht alles. Auch über Museumsdidaktik haben wir viel gelernt, etwa über die Positionierung von Objekten im Raum, um sie in einen sinnvollen Bezug zueinander zu bringen und eindrucksvoll zu inszenieren, oder das Verfassen von Bannern und Vitrinentexten. Viele Ergebnisse der Diskussionen und der mehrfach aufgegriffenen und wieder verworfenen Überlegungen sind in der Ausstellung nicht einmal direkt sichtbar – und dennoch wäre sie ohne die vielen kreativen Gedanken, die wir investiert haben, nicht dieselbe. Das schärft nicht nur unseren Blick, wenn wir in Zukunft andere Ausstellungen beurteilen und deren zugrundeliegende Konzeption verstehen wollen, sondern ist auch eine wichtige berufliche Qualifikation für uns.
Genau – aber auch archäologisch haben wir einiges gelernt: Im Grunde kann man die Ausstellung als ein kleines Forschungsprojekt über Skulpturengruppen bezeichnen, mit einem klaren Ziel und einer wissenschaftlich ertragreichen Fragestellung. Wo sonst sind Studierende derart direkt in die Forschung eingebunden? Für unseren persönlichen Werdegang – wie auch immer er im Einzelnen aussehen wird – wurden jedoch auch andere, soziale Kompetenzen jenseits des Fachlichen geschult: Durchhaltevermögen – Die Übung dauerte insgesamt drei Semester. Teamfähigkeit, denn das Projekt entpuppte sich als Gemeinschaftsaufgabe, die alleine nicht zu stemmen und auf die Kreativität Vieler angewiesen war. Durchsetzungsvermögen: Fast alle Entscheidungen wurden in der Diskussion getroffen. Dazu Kritikfähigkeit: Zu Beginn fiel es vielen von uns schwer, die Kritik an den Texten nicht persönlich zu nehmen, sondern sie als hilfreich zu verstehen und an der Herausforderung zu wachsen.
Also, auf was haben wir uns wirklich eingelassen? Auf eine Übung, die zwar in drei Semestern sehr viel Arbeit mit sich brachte, aber von der wir unheimlich profitiert haben. In dieser Qualität und mit diesem Praxisbezug bekommt man an der Uni sonst keinen Einblick in die museumspädagogische Arbeit. Unser Ansatz, nach formalen und kompositorischen Prinzipien von Figurengruppen zu fragen, führte aufgrund seiner Neuheit dazu, dass wir eigentlich Teilnehmer*innen eines eigenen Forschungsprojektes waren – auch das ist keinesfalls selbstverständlich. Und persönlich haben wir durch das Reflektieren des Schreibens – das ja das wichtigste Instrument von uns Studierenden der Geisteswissenschaften ist – ebenso profitiert wie von der Entwicklung unserer Kritikfähigkeit. Zwei Dinge haben die Ausstellung erst ermöglicht. Zum einen die nun auslaufende Förderung der Mercator-Stiftung. Und zum anderen die Universität selbst. Lieber Rektor Schiewer, deswegen wollen wir als Studierende an dieser Stelle unserer großen Hoffnung Ausdruck verleihen, dass die Uni auch den uns nachfolgenden Semestern den Besuch einer solchen Übung ermöglicht. Veranstaltungen dieser Art sind es auch, die ein Studium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg noch reizvoller machen.
Zu jeder Zeit wurden wir bei unserem Schaffens- und Leidensprozess von unseren beiden Dozenten, Dr. Jens-Arne Dickmann und Prof. Dr. Ralf von den Hoff unterstützt und angeleitet. Waren wir bei der Textproduktion frustriert wie der Satyr, der sein Ziel niemals erreichen wird, waren sie bereit, inhaltliche Probleme ebenso auszudiskutieren wie die Frage, ob eine Skulptur „wie in ihr Gewand eingeschweißt“ erscheint oder doch eher „wie eingenäht“. Auch bei der praktischen Umsetzung der Ausstellung und der Gestaltung von Katalog und Plakaten waren sie immer gewillt, Entscheidungen mit uns statt für uns zu treffen – sodass nach einer Mehrheitsentscheidung glücklicherweise die Schriftfarbe Magenta für das Cover gewählt wurde. Unsere Wünsche wurden nicht nur angehört, ihr Für und Wieder im Plenum erörtert, wir wurden auch regelmäßig dazu ermuntert, eigene Vorstellungen zu äußern und mitzuentscheiden. Kurzum – wir waren von Beginn an – und werden es bis zum Ende im Juli sein – vollständig in alle wesentlichen Punkte der Ausstellung eingebunden. Zu Recht können wir sie daher als unser eigenes kleines Projekt bezeichnen, das ein jeder von uns mit viel Eigenengagement begleitet hat. Sie werden gleich also das Ergebnis eines langen Schaffensprozesses bestaunen können.
Eine unglaublich verlässliche Hilfe war dabei unser Kommilitone Daniel Fallmann, der uns weit über seinen Hiwi-Job in der Sammlung hinaus unterstützte und mit Feuereifer und Humor in allen praktischen Angelegenheiten zur Seite stand. Auch müssen wir uns an dieser Stelle im Namen von uns allen aufrichtig bei unseren Familien und Freunden bedanken, die uns immer mit Rat und Tat sowie mit aufmunternden Worten beiseite standen. Unserem Murren und unseren Beschwerden hörten sie zu, sodass wir uns geborgen wie der Ploutos-Knabe auf dem Arm der Eirene fühlen konnten und die zu erledigenden Arbeiten mit neuem Schwung, neuer Energie und Kreativität angehen konnten. Und am Ende können wir sagen: Wir sind sehr stolz und immens erleichtert, fast wie die gerettete Iphigenie.
Wenn Sie nun anschließend in die Ausstellung hinabgehen und sich von den mannigfaltigen Gruppen verzaubern lassen, erwarten wir Ihr Urteil nahezu ebenso gespannt wie Aphrodite das Urteil des Paris. Denn eine Eröffnung ist gerade besonders schön, weil endlich ein Publikum – Sie – die Ergebnisse sehen und beurteilen kann und gerade Sie sind in dieser Ausstellung ungemein wichtig. Wir werden Sie immer wieder auffordern genau hinzusehen und auf kleine Details zu achten. Lassen Sie sich darauf ein, öffnen Sie Ihre Augen und glauben Sie mir, es lohnt sich!
Einen Bericht mit Hintergrundinformationen finden Sie hier. Im Video sprechen drei der Kurator_innen, Annemarie Schantor, Antje-Sophie Menscher und Tobias Wild über ihre Lieblingswerke:
Ansichtssache – Antike Skulpturengruppen im Raum
Dauer: 21. Februar bis 2. Juli 2017 in der Archäologischen Sammlung der Universität Freiburg
Öffnungszeiten: dienstags bis donnerstags von 14 bis 18 Uhr und sonntags von 11 bis 17 Uhr sowie zu Veranstaltungen
Der Eintritt ist kostenlos.
Adresse: Herderbau an der Habsburgerstraße (Zugang zwischen Nummer 114 und 116), 79106 Freiburg